Im Jahr 1992 feierte die Gemeinde das 100-jährige Bestehen der Evangelisch Lutherischen Kirche in Dillingen.
Aus diesen Anlass wurde eine Festschrift herausgegeben.
Im Folgenden einige Artikel aus dieser.
Unter dem unten angehängten Link können Sie die komplette Festschrift herunterladen.
Vorwort
Blättert man die Chronik vergangener Jahrzehnte zu rück, dann gehört das Jahr 1892 nicht zu den Jahren, in denen die Weltgeschichte von entscheidenden Einschnitten geprägt wurde. Daß in Dillingen an der Donau eine evangelische Kirche gebaut wurde, blieb damals ebenso auf das lokale Interesse beschränkt wie der 100. Geburtstag im Jahre 1992. Der Geburtstag ist Anlaß, Rückschau zu halten auf 100 Jahre evangelisch-lutherischen Kirchengemeindelebens in und um Dillingen. "Weltgeschichtlich" gesehen blieb kaum ein Stein auf dem anderen in dieser Epoche. Und was die Situation der Kirche anbelangt, scheint jeder Vergleich mit der Zeit des zuendegehen den 19. Jahrhunderts fast unmöglich. Immerhin - zahlenmäßig ging es seither stetig "aufwärts", was die Situation der Protestanten in Dillingen angeht. Knapp 85 Jahre waren 1892 vergangen, seit der erste Evangelische sich in der damals jungen Garnisonstadt mit einer ausschließlich römisch-katholisch geprägten Geschichte ansiedelte. Der damalige Kirchenbau spiegelte das in Jahrzehnten gewachsene Selbstbewußtsein protestantischer Bürger. "Ökumene" galt damals als Fremdwort. Die Konfessionen standen sich - freundlich ausgedrückt - distanziert gegenüber. Man ging sich - bestenfalls - aus dem Weg, um sich nicht gegenseitig wehzutun.
Heute - am Ausgang des 20. Jahrhunderts - können sich beide Konfessionen diesen "Luxus" gegenseitigen Totschweigens nicht mehr leisten. Auch in der durch die katholische Kirche geprägten Stadt Dillingen kann christliche Gemeinde und christliche Verkündigung heute nur noch bestehen, wenn beide Kirchen das gemeinsame Zeugnis ihres Glaubens weitergeben - in der Hoffnung, daß dadurch Menschen erreicht werden, denen die Unterschiede verschiedener christlicher Konfessionen kaum noch etwas sagen. Im Jahr 1992 sind zwar die Steine der evangelisch-lutherischen Stadtkirche noch festgefügt aufeinander erhalten, aber ihr Platz ist seither ein anderer geworden. Damals lag sie noch "draußen", vor den Toren der Stadt. Heute liegt sie eingebettet in die Häuser, die längst die Geschlossenheit der alten Stadt gesprengt haben. Dies vermerken wir - weil es wohl auch ein Bild für die Selbstverständlichkeit ist, mit der evangelische und katholische Christen heute in Dillingen Zusammenleben - mit Freude und Dank. Zum Jubiläum im Jahr 1992 hat die evangelisch-lutherische Stadtkirche einen Namen erhalten. Mit Katharina von Bora hat sie eine Namenspatronin, die wohl erstmalig einer Kirche zur Verfügung steht. Ein Zeichen soll das sein für den Aufbruch, den die Kirchen am Ausgang des 20. Jahrhunderts vor sich haben. Aufbruch - zu einer Kirche, die mehr als in der Vergangenheit damit rechnet, daß das Volk Gottes schon immer von der geschwisterlichen Gemeinschaft aller gelebt hat, von Frauen und Männern, Hauptamtlichen und Ehrenamtlichen, Pfarrern, Priestern und Laien. So soll auch diese Festschrift neben allem dankbaren Rückblick die Aufmerksamkeit auf das lenken, was Zukunft hat: Das verkündigte und gelebte Wort Gottes, das allein Bestand hat in allen Veränderungen dieser Welt und der Kirche, die "nur Kirche ist, wenn sie Kirche für andere ist" (Dietrich Bonhoeffer).
Wir danken allen, die an dieser Festschrift mitgearbeitet und die sie mitfinanziert haben (u.a. Stadtsparkasse Dillingen).
Dillingen an der Donau, im September 1992
Katharina von Bora
Katharina von Bora wurde am 29. Januar 1499 in Lippendorf südlich von Leipzig geboren. Ihre Mutter starb, als das Kind fünf Jahre alt war, und der Vater, ein verarmter Landadeliger, brachte sein Töchterchen zu den Benediktinerinnen nach Brehna. Er heiratete kurz darauf wieder. Mit zehn Jahren kam Käthe nach Nimbschen, ins Kloster Marienthron. Eine Tante konnte ihr dort zu einer Pfründe verhelfen, ohne dass ihr Vater zahlen musste. Ihr Leben war festgelegt. Sie bemühte sich, aber sie fühlte sich nicht wohl als Nonne. Durch Luthers Schriften erfuhr sie, dass der Mensch sehr wohl auch in der Welt ein gottgefälliges Leben führen könne. In der Osternacht 1523 floh sie mit acht Schwestern aus dem Kloster. In Wittenberg hatte sie zunächst einen schweren Stand ohne Freunde, ohne Geld, ohne Kenntnis des Alltäglichen. In Barbara Cranach, der Frau des Malers Lucas Cranach d.Ä. fand sie eine liebe, tatkräftige Freundin. Der Patrizier Hieronymus Baumgärtner machte ihr den Hof. Sie liebt ihn sehr. Er reist nach Nürnberg, um die Zustimmung seiner Eltern zur Hochzeit einzuholen, und kommt nicht zurück. Baumgärtners lehnen eine entflohene Nonne als Schwiegertochter ab. Luther wirbt um Katharina. Er heiratet sie, um Gott zu gehorchen, seinem Vater eine Freude zu machen und an ihr ein Werk der Barmherzigkeit zu tun. Aber schon bald sagt und schreibt er, dass er seinen 'Herrn Käthe’ liebt. Sie bekommen sechs Kinder. Zwei Mädchen sterben früh. Katharina pflegt um vier Uhr morgens aufzustehen und den umfangreichen Haushalt des Schwarzen Klosters zu versorgen. Luther führt, wie es bei Professoren damals üblich war, eine Burse: Seine Studenten wohnen bei ihm, auch viele Schüler nimmt er auf und zahlreiche Kinder der Verwandtschaft. Dazu kommen Gäste aus aller Welt, um den berühmten Mann kennenzulernen; entflohene Mönche und Nonnen, Kranke und Bettler suchen bei ihm Zuflucht. Käthe versorgt alle; als die Pest im August 1527 Wittenberg heimsucht, pflegt sie mit Luther die Kranken und nimmt sie in ihr Haus auf. Nach Luthers Tod 1546 hat sie einen schweren Stand. Als sie endlich das Erbe gesichert hat und die Kinder bei sich behalten darf, muss sie vor den anrückenden kaiserlichen Truppen nach Magdeburg fliehen. Sie kehrt zurück, kämpft tapfer um ihre Güter und Gärten. Im September 1552 läuft sie in panischer Angst vor der Pest davon, um ihre Kinder zu retten. Als unterwegs die Pferde durchgehen, springt sie vom Wagen, stürzt unglücklich. In Torgau liegt sie drei Monate auf dem Siechenbette, wie man damals zu sagen pflegte. "Ich klebe an Christus wie die Klette am Kleid", sagt sie und erträgt klaglos alle ihre Schmerzen. Am 20. Dezember 1552 geht sie heim. Sie wird in Torgau in der Kirche beigesetzt, in der sie nach ihrer Flucht den Ostergottesdienst feierte.
Ursula Sachau
Die Gründerzeit der Gemeinde
Das erste halbe Jahrhundert in der Geschichte der jungen Dillinger evangelischen Kirchengemeinde ist geprägt von der Beschaffung von Räumen und Gebäuden, die die verschiedenen Einrichtungen gemeindlichen Lebens aufnehmen sollten, die schrittweise aufgebaut wurden. Der ganze Ehrgeiz aber war auf den Bau einer eigenen Kirche gerichtet.
Die Grundlage des 1860/61 gegründeten Pfarr- und Schulhausbaufonds bildeten Spenden des Gustav-Adolf-Vereins und mehrerer Wohltäter. Die Bemühung galt zunächst dem Aufbau einer evangelischen Volksschule. Am 4.11.1861 wurde mit zehn Kindern verschiedener Altersstufen in einem Schulzimmer am Oberen Tor (das 1868 abgebrochen wurde) der Unterricht aufgenommen; das Haus selbst ist heute Nr. 1 der Kardinal-von-Waldburg-Straße.
1864 konnte an der Konviktstrasse ein Grundstück erworben werden. Das vorhandene Anwesen (heute Nr. 7) diente als Vikars- und Lehrerwohnung und nahm das Schulzimmer auf. Auf diesem Platz sollte auch die Kirche gebaut werden. 1876 wurde der Kirchenbaufonds eingerichtet. Als man in der Kirchenverwaltung 1882 die Finanzierung des Vorhabens beriet, schlug das "weltliche Mitglied" Eduard Rollwagen, angesehener Dillinger Konditormeister und Magistratsrat, vor, eine Lotterie zu veranstalten. Das Gremium wurde sich gegen die Stimme des Vikars einig. Die Regierung genehmigte die beantragte Lotterie erst nach vier Jahren. Sie war mit einem Reinerlös von 63.881,50 M höchst erfolgreich; über 50 % der Gesamtkosten für den Kirchenbau konnten damit bezahlt werden. Bei den Überlegungen zur Gestaltung des Gotteshauses ließ man sich vom zeitgenössischen Kunstgeschmack leiten und entschied sich für die Neugotik. Dass die moderne Kirche dabei in unmittelbarer Nähe zu den barocken Bauten der katholischen Pfarrkirche, der ehemaligen Universität und der Studienkirche errichtet würde, musste jedem Betrachter zu denken geben. Es scheint offensichtlich keiner allzu großen Mühen der Verantwortlichen bedurft zu haben, um die Gemeindemitglieder der "stark besuchten" Versammlung am 25. März 1888 davon zu überzeugen, dass vor allem für den geplanten Kirchbau ein neuer Platz erworben werden sollte. Am 17. September des gleichen Jahres tauschte die evangelische Gemeinde ihr Grundstück an der Konviktstraße gegen das des Distrikttechnikers Greiner an der Oberdillinger Strasse gelegene bei Aufzahlung von 14.000 Mark. Diese Fläche war groß, lag völlig frei im Westen der Stadt und bot die besten Möglichkeiten für eine sinnvolle und großzügige Bebauung. Das ursprünglich bescheidene Haus auf diesem Grundstück hatte eine Zeitlang als Genesungshaus des Priesterseminars gedient. Greiner erweiterte es u. a. durch den Anbau eines achteckigen Türmchens. Jetzt bot das Haus dem Vikar und dem Schulgehilfen Unterkunft. Die protestantische Schule wurde für die Jahre von 1889 bis 1905 in einem Raum des Katholischen Knabenschulhauses untergebracht. Unter Vikar Ernst Lauerbach wurde die Kirche in Backsteinbauweise errichtet. Am 4. Mai 1891 wurde der Grundstein gelegt. Gebaut wurde nach den Plänen des Bauamtsassessors Förster aus Donauwörth, der anfangs auch die Bauleitung hatte.
Nach seiner Versetzung führte der Amtstechniker Greiner diese Aufgabe weiter bis zum Ende. Die Baukosten wurden auf 94.100 Mark veranschlagt. Tatsächlich summierten sich die Kosten für den Kirchenneubau einschließlich der Aufwendungen für die Innenausstattung sowie für den Weg auf 118.693 Mark. Am Tag der Einweihung betrug der Schuldenstand 11.000 Mark; noch vor der Inflation war auch dieser Rest getilgt. Nach einer Bauzeit von nur 17 Monaten konnte die Kirche am 25. September 1892 festlich eingeweiht werden. Alles, was Rang und Namen hatte, fand sich ein, um das gelungene Werk zu bewundern.
Die Kirche bildet städtebaulich den Abschluss der Oberdillinger Straße, die ihrerseits die prächtige Kardinal-von-Waldburg-Straße in gerader Linie weiterführt. Der 47 m hohe Turm steht im Osten gegen die Stadt hin mit dem Hauptportal, auf das sich jeder, der die Stadt nach Westen hin verlässt, zubewegt und das sich den Besuchern einladend öffnet. Der Leistung dieses Kirchenbaus wird man am ehesten gerecht, wenn man bedenkt, dass die kleine Dillinger Kirchengemeinde mit 542 Seelen im Jahre 1890 etwa der Hälfte ihrer Mitglieder in der Kirche Sitzplätze anbieten konnte. Der Bauleidenschaft frönte die Gemeinde erneut, als sie 1904-05 im Süden der Kirche das neue Schulhaus bauen ließ, in dem sich auch die Lehrerwohnung befand. Mit der Erhebung des Vikariates zur Pfarrei am 28. Dezember 1908 erfahren die Dillinger Protestanten eine besondere Anerkennung ihrer Arbeit.